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28
Dez
2022

Arbeiten morgen – was sich ändern muss

So wie Corona unsere Arbeitswelt massiv verändert hat, so wandeln auch technische Innovation und Arbeitskräfteknappheit unsere Arbeitsplätze. Politik, Sozialpartner und Unternehmen stehen vor großem Anpassungsbedarf.

Wenn ich zu einem Vortrag zur Zukunft der Arbeit eingeladen bin, zeige ich gelegentlich eine Folie mit einer Begriffswolke, auf der so tolle Dinge wie Crowd-Working, Digital Literacy, Sinn-Ökonomie, kluge Büroausstattung oder Work-Life-Flow stehen. Begriffe, die man bei Zukunftsforschern findet und die in jeder Präsentation ziemlich gut aussehen. Ich sage dann aber immer gleich dazu, dass ich diese Begriffswolke nur verwende, um modern zu wirken. Denn auf meiner nächsten Folie finden sich dann nur mehr vier Worte für morgen.

flexibler – digitaler – internationaler – ökologischer

Flexibler

So wie Corona ein unfassbares Tempo in der Impfstoffentwicklung erzwang, so hat diese Krankheit auch unser aller Leben in schwindelerregender Geschwindigkeit „onlinisiert“. Diese noch nicht abgeschlossene Entwicklung verändert unsere tägliche Arbeitswelt mindestens so stark wie etwa das Smartphone, das meistverwendete „Ding“ unseres Alltags. Aber erst jetzt fangen wir an, darüber nachzudenken, was wir an dem Ding für gut oder falsch halten. (Beobachten Sie dafür einmal Mitfahrende in der U-Bahn, sie können das ganz offen tun, es wird sie niemand dabei bemerken.)

1,5 Mio Beschäftigten Österreichs „schenkte“ Corona Homeoffice. Viele haben sich daran gewöhnt und viele von uns werden auch künftig oft von zuhause aus arbeiten. Die enorme Arbeitskräftenachfrage des Jahres 2022 veränderte in der Folge die Bedeutung des Wortes Flexibilität am Arbeitsmarkt. Während man nämlich vor wenigen Jahren damit noch den umstrittenen 12-Stunden-Tag meinte, geht es nun darum, sich als personalsuchendes Unternehmen bestmöglich auf die Wünsche nach Teilzeit, Väterkarenz, Homeoffice oder Sabbatical einzustellen.

Die Möglichkeit online zu arbeiten, macht nicht nur örtlich, sondern auch zeitlich völlig flexibel. Am Nachmittag mehr Zeit für die Familie zu haben und sich wieder vor den Laptop zu setzen, wenn die Kinder endlich im Bett sind, das wird genauso nachgefragt wie Homeoffice vom Urlaubsort oder Zweitwohnsitz aus. Der Freitag ist dabei der am meisten gewünschte Homeofficetag und viele arbeiten zunehmend auch gerne einmal an Sonn- oder Feiertagen, um anderntags Freizeit zu gewinnen.

Wie ein modernes Arbeitsrecht all diese Flexibilität ermöglichen und trotzdem die Belegschaft ausreichend vor Burnout, Stress oder Ausbeutung schützen soll, das erschließt sich zunächst nicht spontan. Aber diskutiert sollte darüber jetzt werden, weil vieles, was heute bereits üblich, keineswegs legal ist. So verlangt z.B. die EU-Arbeitszeit-Richtlinie eine Mindestruhezeit von elf zusammenhängenden Stunden, das bedeutet,  wer bis 22 Uhr von zuhause aus arbeitet, darf nicht vor 9h früh im Büro sein.

Digitaler

Wofür unsere Gesellschaft viele Jahre gebraucht hätte, erledigte Corona in wenigen Monaten: Massive Investitionen und 13.000 zusätzliche Beschäftigte in der IT-Branche digitalisierten unsere Arbeitsplätze, Dienstleistungen und auch den Handel in Rekordgeschwindigkeit. Wirkliche Innovationen – auch im Bereich der öffentlichen Verwaltung – ersparen nun oft Wege, Zeit und Co2 und schaffen Raum für weiteres Wirtschaftswachstum. Aber sind wir alle auch digital genügend fit oder lassen wir gerade einen Teil der Bevölkerung dabei zurück?

Mit dem neuen Digitalen Kompetenzmodell für Österreich steht das richtige Werkzeug zur Einordnung und Vergleichbarkeit von digitalen Kompetenzen erfreulicherweise bereits bereit. Wir im AMS glauben an dieses Modell und seine Verwertbarkeit in der Arbeitswelt, zahlreiche unserer Arbeitssuchenden werden sich in Kürze damit testen lassen können. Unser Ziel ist es auch, dieses auf einem europäischen Referenzrahmen basierende System zum breit bekannten Standard zu machen, auch wenn wir vermutlich damit zunächst feststellen werden, dass wir keineswegs alle bereits ausreichend „digitalfit“ sind. Österreich braucht wohl eine massive IT-Qualifikationsinitiative, nicht nur für arbeitslose Menschen.

Internationaler

Vor Kurzem war ich zu einem Podcast eingeladen. Ich saß in meinem Büro in Wien, der Auftraggeber in Brüssel, das Tonstudio war in Berlin, der Moderator arbeitete aus seinem Homeoffice in London. Und so arbeitet auch eine meiner Kolleginnen im AMS bereits teilweise online aus Deutschland. Aber wie viele UkrainerInnen in Österreich tun dies zurzeit für ihren ukrainischen Arbeitgeber? Und wie können unsere Sozialversicherungs- und Steuersysteme gerecht mit diesen neuen Flexibilitäten umgehen? Es ist gut, dass der Dachverband der Sozialversicherungsträger bereits eine erste Rahmenvereinbarung zur grenzüberschreitenden Telearbeit mit Deutschland abgeschlossen hat, doch weiß zum Beispiel das AMS heute nicht, wer im Ausland legal arbeitet, aber hier Arbeitslosengeld bezieht. Denn eine solche dafür notwendige Verknüpfung der Sozialversicherungsdaten in der EU gibt es nicht, und auch Unternehmen berichten, wie schwierig es ist, Beschäftigte im Ausland anzumelden, ohne dort selbst eine Niederlassung zu haben.

Dennoch: Unsere Arbeitswelt bleibt, nicht mehr an den Landesgrenzen stehen, auch wenn der gegenwärtige rechtliche und technische Rahmen mit der Realität einfach nicht mitkommt.

Ökologischer

Dafür kann ich die Lektüre (zumindest der Zusammenfassung) des soeben vorgestellten APCC Reports „Strukturen für ein klimafreundliches Leben“, der von mehr als 80 renommierten WissenschafterInnen erstellt wurde, bestens empfehlen. Denn dort erfährt man, dass weite Bereiche unserer Erwerbsarbeit gegenwärtig keineswegs geeignet sind, um die notwendigen Klimaziele zu erreichen. Die Umstellung auf erneuerbare Energien und klimafreundliche Produkte und Dienstleistungen macht nicht nur mehr Arbeit sondern verlangt auch massiv Aus- und Weiterbildung. Sie verändert bestehende Berufsbilder und erfordert arbeitsmarktpolitisch sinnvolle, neue Lösungen für vom Rückbau klimaschädlicher Bereiche betroffene Menschen.

Die neue Wirklichkeit

Klar ist, dass nicht jeder unserer Arbeitsplätze im gleichen Maße von diesen Trends betroffen ist und sechs von zehn Menschen auch nie in Homeoffice waren. Trotzdem, praktisch jeder Job ist von einer oder mehreren dieser Entwicklungen doch nachhaltig berührt. Da nützt es nichts, dass viele von uns sich nach so vielen Krisen nach einer ruhigeren Zeit sehnen. Denn unsere Arbeitswelt dreht sich plötzlich irgendwie schneller, und wir alle gemeinsam müssen darauf jetzt reagieren.

Hinweis: Dieser Beitrag erschien minimal gekürzt auch am 28.12.2022 als “Kommentar der anderen” im Print- und Onlinestandard. Link